IT-Fach-Kompetenz vs. pädagogische Kompetenz

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IT-Fach-Kompetenz vs. pädagogische Kompetenz


"Dieses Spannungsfeld beschreibt die Tatsache, dass viele Anbieter keine ausgebildeten Pädagogen sind oder solche mit der Durchführung von comp@ss-Kursen beauftragt haben.

Folgendes Praxisbeispiel ist mir persönlich bekannt
In einer Berliner Grundschule arbeitet seit einiger Zeit Teo L. (Name geändert), Anfang 50, gelernter Informatiker, auf MAE-Basis - offiziell als Systemadministrator. Seine Aufgabe ist es, die Computer und das Netzwerk der Schule zu warten.

Lehrer an der Schule fühlen sich dem Druck der Schulleitung und der Eltern ausgesetzt, ihren Schülern den Umgang mit dem Computer vermitteln zu sollen. Da sie sich selbst dazu technisch nicht qualifiziert genug fühlen, übernimmt auf Bitten einiger Lehrer Teo L. diese Aufgabe. Nicht selten wird er dabei von den Lehrern mit der Klasse allein gelassen. Als Anhaltspunkt, was er den Schülern vermitteln soll, ist Teo L. auf den Computerführerschein comp@ss gestoßen. Mit den ihm anvertrauten Schülern nimmt er den Net-comp@ss ab. Da Teo L. oft überfordert damit ist, Schüler einer ganzen Klasse individuell zu betreuen, greift er häufig auf Methoden wie Einzelarbeit oder den Lehrvortrag zurück. Gruppenarbeitszeiten scheinen seiner Erfahrung nach häufig aus dem Ruder zu laufen. Er vermeidet sie daher. Die Lehrer erwarten von Teo L. eine Beurteilung der Leistungen der Schüler. Teo L. hat deshalb Verfahren entwickelt, zeitabhängig bestimmte Lernerfolge zu messen und abzuprüfen. Da die technischen Inhalte des comp@ss sich eher beurteilen lassen als die sozialen, setzt Teo L. hier den Schwerpunkt. Ihm ist auch gar nicht richtig klar, was die Arbeitsgemeinschaft comp@ss mit dem Trainieren sozialer Kompetenzen eigentlich genau meint. Generell macht ihm das Unterrichten großen Spaß. Er fühlt sich jedoch oft auch überfordert mit dieser Aufgabe.


Das Beispiel zeigt, dass eine hohe fachliche Qualifikation (in diesem Fall auf dem Gebiet der Informatik) nicht automatisch für die Dozenten-/ Trainerfunktion befähigt. Die Situation wird insofern verschärft, als dass es eine weit verbreitete Auffassung zu sein scheint, dass es in der Bildung vor allem auf die Sachkompetenz der Lehrenden ankommt – „ergänzt durch eine allgemeine Menschenkenntnis und ein Fingerspitzengefühl im Umgang mit den Teilnehmern“ (SIEBERT 1996, S. 2). Lernerfolge sollen nach dem Willen der Arbeitsgemeinschaft comp@ss nicht beliebig erreicht werden, sondern dem pädagogischen Konzept und Verständnis von Lernen folgen, dass in Kapitel 2.4 dargestellt wurde. Besonders in den letzten Jahren hat die Anzahl der comp@ss-Trainer, die über keine pädagogische Ausbildung verfügen stark zugenommen. Die Ursache hierfür liegt in einer erhöhten Nachfrage nach comp@ss besonders durch Schulen, die häufig durch den Einsatz von Trainern aus dem zweiten Arbeitsmarkt gedeckt wird. Viele Lehrer trauen es sich nicht zu, das Modell von comp@ss eigenverantwortlich im Unterricht einzusetzen. Über Beschäftigungsträger werden von den Schulen zumeist Techniker (Informatiker) engagiert, die dann auf MAE-Basis (MAE = Mehraufwandsentschädigung; sog. 1-Euro-Jobs sind „Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung“ im Sinne des § 16 Abs. 3 SGB II. Zielgruppe sind Langzeitarbeitslose, die ALG II beziehen und keine Arbeit finden können. Üblicherweise handelt es sich um Teilzeitarbeit von 20 bis maximal 30 Stunden pro Woche für eine Dauer von sechs bis neun Monaten.) Computerunterricht in der Schule durchführen (Anmerkung des Verfassers: Eigentlich der Einsatz von MAE-Kräften für pädagogische Tätigkeiten nicht zulässig. Die Realität zeigt jedoch, dass viele Schulen dies schlichtweg ignorieren.). Dies wirft die Frage nach pädagogischer Kompetenz und Professionalität auf. Eine häufig auftretende Erfahrung ist, dass je weniger pädagogische Kenntnisse bei den Trainern vorhanden sind, desto mehr werden rein technische Inhalte in den Mittelpunkt gerückt und die Vermittlung sozialer, kultureller und ästhetischer Kompetenzen im Rahmen von Medienerziehung fallen unter den Tisch – ein krasser Gegensatz also zu den eigentlichen Intentionen von comp@ss. Wird Medienpädagogik mit Computerschulung gleichgesetzt, wird der wichtigste Aspekt, nämlich der pädagogische, in der Computerarbeit mit Kindern und Jugendlichen unterschlagen (vgl. BADER 1995, S. 127). BAUER 2005 nennt diese pädagogisch-professionellen Fähigkeiten „überfachlich pädagogische Kompetenzen“ oder „pädagogische Basiskompetenzen“ (vgl. ebd. S. 20). BAUER nennt sechs Dimensionen pädagogischer Basiskompetenzen, die wie folgt lauten:

  • Soziale Strukturen bilden

(Selbstorganisation fördern, Soziale Bindung fördern, Regeln entwickeln, Großund Kleingruppen anleiten, Partner-/Teamarbeit anleiten, Leiten und Führen)

  • Interaktion steuern

(Gefühle wahrnehmen, Gefühle zeigen, Humor zeigen, Moderieren, Diskussionen anleiten, Wertschätzung zeigen, spielen)

  • Kommunizieren und Informieren

(aktiv zuhören, Feedback geben, Feedback empfangen, Visualisieren, Diskussion leiten, vortragen, Fragen stellen)

  • Lernumgebungen gestalten

(Körper einsetzen, Anfänge/Abschlüsse inszenieren, Rituale schaffen, Rollen darstellen, Rhythmen finden, aus Räumen Lernräume machen, Material erfinden)

  • Ziele klären und Inhalte strukturieren

(Ziele klären, wichtiges hervorheben, logisch oder kausal verknüpfen, analog verknüpfen, sequenziell ordnen, reduzieren)

  • Hintergrundarbeit leisten

(Rolle klären, planen, organisieren, archivieren, evaluieren, Zeitmanagement)

Diese Auflistung pädagogischer Basiskompetenzen erhebt nicht den Anspruch der Vollständigkeit. Jedoch wird dadurch ein wichtiger Aspekt verdeutlicht: fachlichtechnische Kompetenz kann in Lehr-Lernsituationen auf keinen Fall eine beherrschende oder überragende Rolle spielen. Wichtig ist hier der Vermittlungsprozess selbst. Ihm hat sich das ausgewählte Fachwissen unterzuordnen (vgl. DÖRING & RITTER-MAMCZEK 1997, S. 127).

Während Lehrer bereits über spezifische pädagogische Handlungskompetenzen – zumindest im Rahmen des Wirkens von Schule – verfügen, ist das Feld der Pädagogik für Techniker meist völliges Neuland. Für sie geht es also darum, neue (pädagogische) Handlungskompetenzen zu erlangen."

(aus Diplomarbeit zur Entwicklung eines Schulungskonzepts für Trainerinnen und Trainer des Berliner Kinder und Jugend-Computerführerscheins comp@ss von Florian Mannchen)